Wie kann das pro­spek­tive Gedächt­nis ver­bes­sert wer­den?

Bist du schon ein­mal in einen Raum gegan­gen und hast dich gefragt, warum du dort warst? Wenn du das erlebt hast, hast du einen pro­spek­ti­ven Gedächt­nis­ver­lust erlit­ten.

Erin­ne­rung bezieht sich nor­ma­ler­weise auf etwas, das bereits gesche­hen ist. Aber pro­spek­ti­ves Gedächt­nis ist die Fähig­keit, sich daran zu erin­nern, etwas in der Zukunft zu tun, z. B. auf dem Heim­weg von der Arbeit anzu­hal­ten, um fri­sches Obst zu kau­fen, seine Mut­ter an ihrem Geburts­tag anzu­ru­fen oder daran zu den­ken, den Auf­lauf aus dem Ofen zu neh­men. Manch­mal füh­ren Feh­ler zu herz­zer­rei­ßen­den Ergeb­nis­sen, z. B. wenn man ver­gisst, sein Klein­kind an einem hei­ßen Tag aus dem Auto zu neh­men.

Was hat es damit auf sich? Schauen wir uns die­ses Phä­no­men genauer an und über­le­gen, wie Men­schen, die damit Pro­bleme haben, gehol­fen wer­den kann.

Umset­zung zukünf­ti­ger Pro­jekte

Das pro­spek­tive Gedächt­nis ist die Fähig­keit, sich an eine zukünf­tige Absicht zu erin­nern, sie in Erin­ne­rung zu rufen oder sich daran zu erin­nern, sie aus­zu­füh­ren. Eine zukünf­tige Absicht kann auf zwei ver­schie­dene Arten abge­ru­fen wer­den. Die eine ist die Reak­tion auf etwas in der Umge­bung, wie z.B. einen Anblick oder ein Geräusch, das als Hin­weis dient, eine beab­sich­tigte Hand­lung aus­zu­füh­ren. In der For­schung wird dies als Ereig­nis bezeich­net. Zum Bei­spiel siehst du dei­nen Kol­le­gen und erin­nerst dich daran, dass du ihm eine Nach­richt über­brin­gen sollst, oder du hörst den Timer ablau­fen und erin­nerst dich daran, den Rasen­spren­ger aus­zu­schal­ten. Oder du reagierst auf die Zeit. Dein Zahn­arzt­ter­min ist für 14 Uhr ange­setzt, aber du hast vor, vor­her 30 Minu­ten Sport zu trei­ben.

Eine mög­li­che Erklä­rung dafür, wie Men­schen eine poten­zi­elle Erin­ne­rung abru­fen, ist die so genannte Mul­ti­pro­zess­theo­rie. Diese Theo­rie besagt, dass man sich manch­mal anstren­gen muss, um sich zu erin­nern, z.B. indem man wie­der­holt auf die Uhr schaut, bis es 14 Uhr ist. Manch­mal kom­men die Erin­ne­run­gen aber auch ohne Anstren­gung, z.B. wenn man einen Alarm hört. Wie die obi­gen Bei­spiele zei­gen, sind Erin­ne­run­gen mit zeit­be­zo­ge­nen Hin­wei­sen wie 14 Uhr im All­ge­mei­nen schwie­ri­ger zu behal­ten als Erin­ne­run­gen mit ereig­nis­be­zo­ge­nen Hin­wei­sen wie einem Alarm.

Betrof­fen im Gehirn

Ältere Erwach­sene nei­gen dazu, mit zuneh­men­dem Alter ihr pro­spek­ti­ves Gedächt­nis zu ver­lie­ren. Das liegt daran, dass sich das Gehirn im altern­den prä­fron­ta­len Kor­tex ver­än­dert. Doch es gibt nicht nur schlechte Nach­rich­ten. Ältere Men­schen schei­nen in man­chen Situa­tio­nen sogar bes­ser abzu­schnei­den als jün­gere, wenn sie sich an Dinge aus ihrem All­tag erin­nern sol­len. Wir nen­nen dies das alters­ab­hän­gige Gedächt­nis­pa­ra­do­xon.

Der Teil des Gehirns, der dafür am meis­ten ver­ant­wort­lich zu sein scheint, ist ein Bereich des Stirn­lap­pens, der als Brod­mann-Areal 10 bezeich­net wird. Die­ser Bereich ist daran betei­ligt, Infor­ma­tio­nen im Gedächt­nis zu behal­ten, wäh­rend man gleich­zei­tig eine andere Auf­gabe aus­führt. Das pro­spek­tive Gedächt­nis ist jedoch kom­pli­ziert. Man muss einen Vor­satz fas­sen und sich dann daran erin­nern, ihn aus­zu­füh­ren. Das ist die Auf­gabe des prä­fron­ta­len Cor­tex, der für Pla­nung und Orga­ni­sa­tion zustän­dig ist.

Man muss erken­nen, wann das pas­siert, was den Parie­tal­lap­pen ein­be­zieht. Man muss sich daran erin­nern, was man tun wollte — eine Form des retro­spek­ti­ven Gedächt­nis­ses, an dem der Hip­po­cam­pus betei­ligt ist, eine Gehirn­struk­tur, die für das Erin­nern von Fak­ten, Ereig­nis­sen und räum­li­chen Wegen wie Rich­tun­gen und Orten wich­tig ist. Beim zeit­li­chen pro­spek­ti­ven Gedächt­nis schließ­lich muss die Zeit im Auge behal­ten wer­den, und hier sind wahr­schein­lich meh­rere Gehirn­struk­tu­ren betei­ligt. Daher kann das pro­spek­tive Gedächt­nis durch Pro­bleme in jeder die­ser Regio­nen beein­träch­tigt wer­den.

Krank­hei­ten, Alko­hol, Kul­tur

In den letz­ten 30 Jah­ren wurde fest­ge­stellt, dass viele Krank­hei­ten das pro­spek­tive Gedächt­nis beein­träch­ti­gen kön­nen. Über­mä­ßi­ger Alko­hol­kon­sum trägt bei­spiels­weise zu einer Ver­schlech­te­rung des pro­spek­ti­ven Gedächt­nis­ses bei. In Stu­dien wurde fest­ge­stellt, dass Stu­den­ten schon bei gerin­gem Alko­hol­kon­sum schlechte Leis­tun­gen im zeit­li­chen pro­spek­ti­ven Gedächt­nis erbrin­gen. Auch Per­so­nen, die durch Alko­hol­kon­sum Erin­ne­rungs­lü­cken erlei­den, wei­sen Defi­zite im ereig­nis­be­zo­ge­nen pro­spek­ti­ven Gedächt­nis auf.

Unter­su­chun­gen an Men­schen mit Schi­zo­phre­nie zei­gen eine Kor­re­la­tion zwi­schen schlech­tem pro­spek­ti­ven Gedächt­nis und man­geln­der Com­pli­ance. Es gibt viele Gründe, warum Men­schen ihre Medi­ka­mente nicht ein­neh­men, aber es wird ver­mu­tet, dass einige Men­schen sich ein­fach nicht daran erin­nern kön­nen. Men­schen mit einer Hirn­ver­let­zung haben oft Pro­bleme mit dem pro­spek­ti­ven Gedächt­nis. Sie haben viel­leicht den fes­ten Vor­satz, etwas zu tun, kön­nen sich aber ein­fach nicht daran erin­nern. Dies kann zu Frus­tra­tion bei den Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen oder Betreu­ern füh­ren, die den­ken könn­ten, dass die Per­son absicht­lich Anwei­sun­gen nicht befolgt.

Men­schen mit Mor­bus Par­kin­son haben beson­dere Pro­bleme mit dem pro­spek­ti­ven Zeit­ge­dächt­nis. Sie wis­sen, dass sie etwas tun müs­sen, haben aber Schwie­rig­kei­ten, die Zeit abzu­schät­zen und ver­pas­sen den Zeit­punkt, es zu tun. Auch Men­schen mit Mul­ti­pler Skle­rose haben Schwie­rig­kei­ten, sich an Ter­mine zu erin­nern. Eine Stu­die an Pati­en­ten mit 1.600 Ein­zel­ter­mi­nen hat gezeigt, dass etwa 3 % die­ser Ter­mine (etwa 50) nicht wahr­ge­nom­men wur­den, was mit der Leis­tung des pro­spek­ti­ven Gedächt­nis­ses zusam­men­hängt.

Es mag dich über­ra­schen, dass auch die Kul­tur das pro­spek­tive Gedächt­nis beein­flus­sen kann. In einer Stu­die aus dem Jahr 2023 hat unser Team das pro­spek­tive Gedächt­nis von Spa­nisch spre­chen­den Per­so­nen gemes­sen. Wir stell­ten fest, dass die Leis­tungs­un­ter­schiede durch den Grad der Akkul­tu­ra­tion an die US-ame­ri­ka­ni­sche Kul­tur beein­flusst wur­den. Dies könnte dar­auf zurück­zu­füh­ren sein, dass die Tests in den USA ent­wi­ckelt wur­den und daher kul­tu­rell ver­zerrt sind, oder aber auf kul­tu­relle Unter­schiede, wie z.B. die Zeit­wahr­neh­mung.

Mög­li­che Spei­cher-Hacks

Wir haben uns auch mit Tech­ni­ken beschäf­tigt, die die Funk­tion des pro­spek­ti­ven Gedächt­nis­ses ver­bes­sern kön­nen. Es ist uns gelun­gen, die Zeit­spanne zu ver­län­gern, in der eine Per­son mit einer Hirn­ver­let­zung eine Absicht im Gedächt­nis behal­ten kann, indem wir Wie­der­ho­lun­gen und visu­elle Vor­stel­lungs­kraft ein­set­zen. Eine Inter­ven­tion mit Wie­der­ho­lun­gen könnte zum Bei­spiel lau­ten: „In genau einer Minute bitte in die Hände klat­schen“. Wenn dies gelingt, erhö­hen wir lang­sam das Zeit­in­ter­vall. Bei der visu­el­len Vor­stel­lungs­kraft geht es darum, sich vor­zu­stel­len, was pas­sie­ren wird, wenn die Absicht aus­ge­führt wird — zum Bei­spiel, was man sehen, hören und rie­chen wird.

Du kannst auch visu­elle Hilfs­mit­tel ver­wen­den. Wenn du eine Uhr oder ein Handy mit Kalen­der und Weck­funk­tion hast, ist es natür­lich hilf­reich, diese Geräte für wich­tige Auf­ga­ben ein­zu­stel­len. Mache eine kurze Auf­nahme mit dei­nem Handy oder ein Foto, um dich daran zu erin­nern, wo dein Auto geparkt ist. Es gibt auch spe­zi­elle Apps, die dich daran erin­nern. Remem­ber the Milk und Todoist bie­ten kos­ten­lose Ver­sio­nen an. Und wenn es einen Gegen­stand gibt, den du nicht ver­ges­sen willst, lege ihn vor die Tür, damit du ihn nicht über­siehst. Wenn du einen Kalen­der benutzt, lege ihn dort hin, wo du ihn jeden Mor­gen siehst. Lege dein Handy, deine Brief­ta­sche oder deine Akten­ta­sche auf den Rück­sitz neben den Auto­sitz.

Auch Rou­tine kann hel­fen. Wenn du eine wich­tige täg­li­che Auf­gabe wie Haus­auf­ga­ben oder Sport hast, nimm dir jeden Tag die glei­che Zeit dafür. Vie­len Men­schen hilft auch das so genannte “Vor­satz­ma­chen”. Man sagt sich ein­fach laut: „Wenn die Situa­tion X ein­tritt, werde ich Y tun“. Ande­ren hilft es, die Absicht in die Tat umzu­set­zen, sobald sie sich dazu ent­schlos­sen haben. Wenn du zum Bei­spiel daran den­ken willst, deine Blu­men zu gie­ßen, wenn du nach Hause kommst, stelle dir vor, wie du es tun wirst. Die Absicht kann ver­stärkt wer­den, indem man die Teile des Gehirns benutzt, die die Mus­keln kon­trol­lie­ren.

Die gute Nach­richt ist, dass das pro­spek­tive Gedächt­nis die meiste Zeit auto­ma­tisch gut funk­tio­niert. Aber mit mehr For­schung wer­den die­je­ni­gen von uns, die das pro­spek­tive Gedächt­nis unter­su­chen, bes­ser ver­ste­hen, wann es ver­sagt und was man dage­gen tun kann.