Die emo­tio­nale Belas­tung durch Was­ser­stress

Aus Afrika errei­chen uns zwar immer wie­der Bil­der aus extrem tro­cke­nen Regio­nen, aber wir kön­nen uns in Europa kaum vor­stel­len, wie es den Men­schen dort wirk­lich geht. Wie gehen sie mit die­sem Was­ser­stress um? Was macht das mit ihrer Psy­che?

Wenn man die Frauen auf die Bil­der anspricht, erzäh­len sie, dass sie die Ernäh­rung ihrer Babys für den Tag ändern müs­sen, je nach­dem, wie viel Was­ser zur Ver­fü­gung steht. Man­che haben Angst, dass ihre Nach­barn Was­ser aus ihrem Haus steh­len, wenn sie unter­wegs sind. Man­che sind dehy­driert und kön­nen nicht stil­len; sie füt­tern ihre Babys statt­des­sen mit Getreide. Andere wer­den geschla­gen, wenn sie nicht genug Was­ser für ihre Fami­lien besor­gen kön­nen. Die Frauen berich­ten, dass sie ängst­lich und depri­miert sind. Und eine Frau träumt vom Was­ser.

Ähn­li­che Bil­der gibt es in Europa (noch) nicht. Aber die Pegel­stände des Pó und des Gar­da­sees zei­gen, dass es keine 50 Jahre mehr dau­ern wird, bis wir Ähn­li­ches erle­ben wer­den, wenn der Kli­ma­wan­del so wei­ter geht. Dar­aus ergibt sich die wich­tige und berech­tigte Frage: Was macht die­ser Was­ser­stress mit dem Men­schen, sei­nem Gehirn und sei­nem emo­tio­na­len Befin­den?

Was­ser beein­flusst uns auf viele Wei­sen, die wir viel­leicht nicht sehen, wenn wir nicht auf die Unsi­cher­heit des Was­sers, den so genann­ten Was­ser­stress, ach­ten. Wenn Men­schen sich um Was­ser sor­gen, nimmt es ihr Leben in Anspruch. Denn Was­ser ist nicht nur für das Über­le­ben not­wen­dig, son­dern auch für die see­li­sche Gesund­heit des Men­schen. Das Gehirn braucht Flüs­sig­keit für eine gesunde Zell­funk­tion, die zu Auf­merk­sam­keit und Gedächt­nis­leis­tung bei­trägt. Stu­dien zei­gen, dass selbst gesunde Erwach­sene, die nur leicht dehy­driert sind, sich in ihrer Stim­mung ver­schlech­tern und über Schläf­rig­keit und ein beein­träch­tig­tes Wohl­be­fin­den kla­gen.

Aber nicht nur Dehy­drie­rung beein­träch­tigt die psy­chi­sche Gesund­heit. Täg­lich mit dem Was­ser­man­gel zu kämp­fen, ist oft sehr demü­ti­gend. Es ist auch ärger­lich. Es ist etwas Greif­ba­res, das einen daran erin­nert, dass man keine Macht hat. Die stän­di­gen Sor­gen und nega­ti­ven Emo­tio­nen über die Was­ser­res­sour­cen beein­flus­sen die Funk­ti­ons­weise des Gehirns.

Dass das Gehirn von Was­ser­stress betrof­fen ist, liegt daran, dass etwas, das chro­nisch und andau­ernd ist, wie eine stres­sige Arbeit oder Was­ser­un­si­cher­heit, zu einer lang­fris­ti­gen Hyper­ak­ti­vie­rung des Angst­kreis­laufs führt. Der Angst­kreis­lauf bezieht sich auf alle neu­ro­na­len Mecha­nis­men, die Angst aus­lö­sen und ver­schie­dene Berei­che des Gehirns akti­vie­ren, die auf Stress reagie­ren, wie die Hypo­tha­la­mus-Hypo­phy­sen-Neben­nie­ren­rin­den-Achse (HPA), die Amyg­dala und den prä­fron­ta­len Kor­tex.

Diese Schalt­kreise haben sich vor lan­ger Zeit ent­wi­ckelt, um dem Men­schen zu hel­fen, ernste und unmit­tel­bare Bedro­hun­gen zu über­le­ben, z. B. auf der Flucht vor einem Raub­tier. Heute kön­nen sie uns hel­fen, einem rasen­den Auto aus­zu­wei­chen. Eine lang­fris­tige Akti­vie­rung des Schalt­krei­ses kann jedoch zu schlech­tem Schlaf, erhöh­ter Herz­fre­quenz, Panik­at­ta­cken, gene­ra­li­sier­ten Angst­stö­run­gen und Depres­sio­nen füh­ren.

Das bedeu­tet, dass Depres­sio­nen, wenn sie über einen län­ge­ren Zeit­raum andau­ern, viele nega­tive Aus­wir­kun­gen auf den Kör­per haben. Depres­sio­nen kön­nen uns auch daran hin­dern, ange­nehme Dinge zu tun, wie uns mit Freun­den zu tref­fen oder unse­ren Hob­bys nach­zu­ge­hen. Das macht sie zu einem ver­hee­ren­den Pro­blem. Man ist weni­ger moti­viert, diese Dinge (ange­nehme Akti­vi­tä­ten) zu tun, aber sie nicht zu tun, ver­stärkt die Depres­sion.

Wenn diese Schalt­kreise lang­fris­tig Stress­hor­mo­nen, ins­be­son­dere Cor­ti­sol, aus­ge­setzt sind, kann dies zu phy­si­schen Ver­än­de­run­gen in Gehirn­be­rei­chen wie der Amyg­dala füh­ren, einer Struk­tur, die für die Regu­lie­rung unse­rer Emo­tio­nen ent­schei­dend ist. Die Zel­len in die­sen Berei­chen wach­sen tat­säch­lich. Sie wer­den viel reak­ti­ons­freu­di­ger und emp­find­li­cher. Da sich diese Hirn­areale durch wie­der­hol­ten Stress ver­än­dern, ver­ar­bei­ten sie Infor­ma­tio­nen aus der Umwelt anders. Dinge, die vor­her nicht bedroh­lich waren, wer­den bedroh­lich. Gleich­zei­tig kön­nen die für die Ent­schei­dungs­fin­dung zustän­di­gen Teile des Gehirns bei chro­ni­scher Expo­si­tion gegen­über Stres­so­ren bei Mensch und Tier dra­ma­tisch schrump­fen. Stress an sich ist nicht der Böse­wicht. Das Pro­blem ist, dass wir Men­schen unsere Stress­re­ak­tion für Dinge ein­set­zen kön­nen, die noch gar nicht pas­siert sind. Wir sor­gen uns um die Zukunft. Das zeigt, wie sie (die Was­ser­un­si­cher­heit) zu einem alles ver­schlin­gen­den Pro­blem wird. Res­sour­cen­knapp­heit jeg­li­cher Art ist ein gro­ßer Stress­fak­tor.